»Dabei sind wir Menschen doch eigentlich Regenwürmer«
Es sprießt, blüht, fleucht und kreucht im Ausstellungsraum. An den Wänden wimmelt es von Bildern mit verschiedensten Bewohnern. Im Raum sehen wir Blumenbögen, die sich, anstatt ordentlich mit Rosen berankt zu sein, in unterschiedlichsten Formen verteilen. Verena Issel begibt sich in das Spannungsverhältnis zwischen Natur und Kultur. Ein nur vermeintlicher Widerspruch, der sich in den letzten Jahren zunehmend verstärkt hat. Langsam macht er der Menschheit angesichts des Klimawandels einen Strich durch die Rechnung der Weiterexistenz und der uneingeschränkten Dominanz über den Planeten. Nur noch 10 Prozent der Erde sind wild, also nicht vom Menschen manipuliert. Jeder andere Winkel wurde nach einer bestimmten Vorstellung gestaltet. Doch zu denken, dass man nun Ordnung ins Chaos gebracht hätte, wäre direkt der nächste Trugschluss. Issel zeigt in ihrer Arbeit, dass diese Ordnung genau so verzweigt und rhizomatisch verbunden ist, wie die Natur selbst. Weil der Mensch eben auch Teil der Natur ist; so sehr er sich auch gegen die Tatsache sträubt, nur eines von vielen kleinen Rädchen im Getriebe der Welt zu sein.
Die Ausstellung »Grids and Flowers« hat mehrere Schichten. Eine besteht aus Fund- und Versatzstücken, mit denen wir diese Welt gestalten. Das sind Pfeifenreiniger, Ohrstöpsel, Sushi Bento Trennblätter und kleine Styroporrollen. Daraus hat Issel einen Mikrokosmos geschaffen, der vor sich hinwuchert und die überraschendsten Verbindungen aufzeigt, wenn man sich einlässt, seinen verschlungenen Wegen zu folgen.
Die kleinformatigen Bilder zeigen manchmal, immer weiter abstrahiert, das gleiche Motiv, sodass man nicht weiß, wer sich hier auf wen bezieht; nur eines ist sicher: Alles hängt mit allem zusammen. Die Bilder sind parallel zueinander entstanden. Deswegen kann man sie, wenn man einen Schritt zurücktritt und das große Ganze betrachtet, auch als ein einziges fragmentiertes Bild lesen. Man sieht Blumen, Blüten, Kerne, Bohnen, Samen – alles, was die Natur zum Blühen und Gedeihen bringt. Die Bilder beschreiben einen wuchernden, wachsenden und sich immerzu verändernden Zustand der Natur.
Eine weitere Schicht besteht aus Bildern, die aus Teppich-Antirutschmatten gefertigt sind. Man benutzt solche Matten, um das Rutschen von Teppichen zu verhindern; damit schön alles da bleibt, wo es hingehört. In diese Raster, das titelgebende Grid, sind Landschaftsbilder aus Acrylfäden, Gardinenfransen und Bändern eingefädelt und genäht. So lässt Issel traumhafte Landschaften, verlorene Palmen, Bilder eines Paradieses, das es vermutlich nie gab, auferstehen. Palmen, Strände, Kokosnüsse, Seegurken und andere exotisch anmutende Gewächse erzählen davon, dass das in der Werbung beschworene Paradies nichts anderes ist, als die konstruierte Idee einer Tourismus-Industrie, die durch ihren Erfolg immer auch die Grundlage dieses Erfolges zerstört. »Kommen sie in die unberührte Natur. Genießen Sie die Ruhe!«, schreit die Werbung und lockt mit bis zur Unkenntlichkeit bearbeiteten Fotos, die eher Issels Plastik-Nachbildungen ähneln, denn dem, was die Natur tatsächlich hervorbringt.
Die regenwurmähnlichen Figuren, die man auch auf den großen Rasterteppichen sieht, scheinen sich gegenseitig etwas ratlos und verloren anzusehen, in dieser Welt, die sie doch selbst geschaffen haben und sich zu fragen: »Was nun?« Achselzucken ist wohl die Antwort.
Man kann noch eine weitere Sedimentschicht innerhalb der Ausstellung finden. Bestehend aus dem, was der Mensch produziert, als Sieg über die Natur deklariert und es Kultur nennt. Diese Artefakte, griechische Tempel, eingelegte Gemüsesorten (die Kulturtechniken des Konservierens) sind auf Glas gemalt. Eingelegt und konserviert für die Ewigkeit. Damit die Geschichte der Menschheit weiterhin als eine Geschichte des Fortschritts erzählt werden kann, auch wenn wir gerade mit voller Härte spüren, dass dieser Fortschritt die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen mit sich bringt. Von diesem konstanten Kampf des Menschen gegen die Natur – also auch gegen sich selbst – erzählen auch die Blumenbögen. Normalerweise zwingen diese Bögen Pflanzen in bestimmten Formen zu wachsen, um so entweder hübscher auszusehen oder nützlich zu sein. Issel hat diesen Bögen andere Formen aufgezwungen und jetzt schlängeln sie sich am Boden entlang, sind zu groß oder zu klein, um ihre Aufgabe noch vernünftig erfüllen zu können.
Die Wände des Galerieraumes sind mit einem Plan, einem Raster überzogen, in dem die Bilder ihren Platz finden. Dort hängen die verschiedenen Schichten wild durcheinander. Es sieht aus, als würde man beim Landeanflug aus dem Flugzeugfenster gucken. Man sieht Flecken von Natur, von Stadt, von menschengemachter Exotik in unmittelbarer Nachbarschaft und trügerischem Frieden zueinander. Doch man sollte sich nicht täuschen lassen von den fröhlichen Farben und den freundlichen Figuren in diesem Kosmos. Denn die Wahl von Issels Arbeitsmaterial ist keineswegs zufällig.
Die Gegenstände aus Plastik, die günstig, auf Masse produziert sind, und die in Issels Werk einen neuen, einen schöneren Nutzen gefunden haben, sind gleichzeitig verantwortlich dafür, dass die Natur, die Lebensgrundlage von allem, mittlerweile kaum noch existiert. Es ist genau dieses Plastik, das sich in großen Teppichen über die Meere legt und das Leben der Meeresbewohner qualvoll beendet. Doch nicht nur das: Durch die Meere gelangt das Plastik in Form von Mikroplastik wieder zurück in den menschlichen Organismus. Und so kann kaum ein Material passender sein, um das paradoxe Verhältnis des Menschen, der seine eigene Existenzgrundlage zerstört, zu beschreiben. Wie leicht wir uns von den freundlichen Figuren, dem zugänglichen und vertrauten Material verführen lassen, zeigt den Teufelskreis, in dem wir uns befinden und dabei alle gemeinsam den Abgesang auf unsere Existenz singen. Selten kam dieser Abgesang freundlicher, fröhlicher und verführerischer daher als bei Verena Issel.
(Text von Laura Helena Wurth)
Abbildung (c) Verena Issel